• 30.11.2023 08:06

Flawil könnte demnächst zwei Fernwärmenetze erhalten

Die Technischen Betriebe Flawil haben sich zum Ziel gesetzt, die lokale Produktion erneuerbarer Energie zu fördern und entsprechende Projekte auch umzusetzen. Darum wurde unter anderem das Potential zu Nutzung vorhandener Abwärme geprüft. Das Resultat sind zwei Projekte für Wärmenetze, mit deren Umsetzung Flawil etwa 6'700 Tonnen CO2 oder ein Viertel des CO2 Ausstosses für Wärme einsparen könnte.

Warum Verbundlösungen besser sein können

In Flawil sind diverse Arealentwicklungen und Überbauungen in Planung, welche in den nächsten Jahren realisiert werden sollen. Anstatt jedes neue Areal, jede neue Überbauung oder jedes sanierte Mehrfamilienhaus mit einer individuellen Heizung zu versehen, haben die Technischen Betriebe Flawil (TBF) geprüft, ob es gemeinschaftliche Lösungsansätze gibt.

Ein Vorteil von gemeinschaftlichen Wärmelösungen, sei es als Quartierheizung, als Nahwärmeverbund oder als Fernwärmesystem, liegt in deren Skalierungseffekt und einer gesteigerten Effizienz, da in grossen Wärmezentralen auch wertvoller Strom produziert werden kann. Dies ist insbesondere in der kalten Jahreszeit wertvoll, weil dann die Schweiz auf Stromimporte angewiesen ist.

Grosse Projekte ermöglichen auch die Erschliessung von Wärmepotentialen, mit denen ganze Siedlungen mit Wärme versorgt werden können. Beispiele dafür sind die Abwärme aus der Industrie oder aus grösseren Entsorgungsbetrieben wie Kehrichtverbrennungs- oder Abwasserreinigungsanlagen. Durch Nutzung solcher Energie-Quellen kann die Wärmeversorgung teilweise von der Stromversorgung entkoppelt werden. Die Diversifizierung der Wärmeversorgung reduziert die Abhängigkeit von den fossilen Brennstoffen, stärkt die Stromversorgung und schafft lokale Wertschöpfung.

Kleine Lösungen geprüft und ein grosses Projekt erschlossen

Zur Versorgung der Überbauung Blumenau wurde eine Wärmeauskopplung aus der Abwasserreinigungsanlage (ARA) Oberglatt geprüft. Dabei hat das beauftrage Ingenieurbüro festgestellt, dass mit der in der ARA Oberglatt vorhandenen Wärme sowie mit einer direkten Verbindung durch den Abwasserstollen ins Dorfzentrum eine wirtschaftliche Wärmeversorgung im Zentrum von Flawil realisierbar wäre.

Wärmeverbund «ARA Oberglatt»

Aus dem gereinigten Abwasser der ARA Oberglatt können, bevor es in die Glatt eingeleitet wird, jedes Jahr etwa 23 Gigawattstunden Wärme gewonnen werden, was etwa einem Viertel des Flawiler CO2 Ausstosses für Wärme entspricht. Der Wärmeentzug käme auch der Glatt zugute, da zu warm eingeleitetes Wasser schlecht für deren Ökosystem ist.

Mit der in Oberglatt gewonnen und im Leitungsnetz transportierten Wärme könnten 300-350 Gebäude im Zentrum von Flawil versorgt werden. Im Perimeter der Wärmeversorgung eingeschlossen ist auch das Stickerquartier, in welchem aufgrund der baurechtlichen Vorgaben einzelne Heizungen mit erneuerbarer Energie schwierig umzusetzen sind. Ebenfalls wäre vorgesehen, die Industriegebiete Schändrich und Glatthalde zu erschliessen, um weitere Abwärme aus dem lokalen Gewerbe zu gewinnen und damit den Versorgungsperimeter zu erweitern.

Wärmeverbund «Botsberg» 

Auf der Suche nach einer alternativen Wärmequelle für die geplante Neuüberbauung Botsberg und das daran angrenzende Quartier wurde in der Machbarkeitsstudie die Nutzung von vorhandener Industrieller Abwärme geprüft. Bei der Maestrani Schweizer Schokoladen AG fallen aus Produktion, Verarbeitung und Lagerung der Zutaten und Endprodukte erhebliche Mengen an Abwärme an. Die Auskopplung der heute anfallenden Abwärme könnte die Versorgung der neu geplanten Überbauung sicherstellen. Mit zusätzlichen Massnahmen zur Redundanz, wie beispielsweise einem Holzheizkraftwerk oder einem Erdsondenfeld, könnte das geplante Versorgungsgebiet im Westen diversifiziert und zusätzlich erweitert werden.

Wie geht es weiter?

Der Verwaltungsrat der TBF hat schon frühzeitig bei der Gemeinde Flawil, welche 100%ige Eigentümerin der TBF ist, das grundsätzliche Einverständnis für ein Wärmeprojekt eingeholt. Parallel arbeitet man daran, auch alle rechtlichen Grundlagen für eine Fernwärmeversorgung zu schaffen. Der Verwaltungsrat der TBF hat in der Folge beschlossen, eine Wärmeversorgung Flawil zu prüfen und hat dafür im vergangenen Frühjahr zwei Vorprojekte für einen Wärmeverbund «ARA Oberglatt» und einen Wärmeverbund «Botsberg» in Auftrag gegeben. Ziel der Vorprojekte ist es, gewonnene Erkenntnisse der Machbarkeitsstudie zu vertiefen, deren technische und wirtschaftliche Realisierung abzuschätzen und gemeinsam mit den potenziellen Wärmelieferanten entsprechende Geschäftsmodelle zu erarbeiten.

Einige erhebliche Herausforderungen

Nebst den technischen und rechtlichen Aspekten geht es in den Vorprojekten insbesondere darum, geeignete Standorte für die Energiezentralen zu finden. Ein weiterer Knackpunkt stellt im Moment die langfristige Finanzierung des Projektes dar. Die Machbarkeitsstudie rechnet, nach Abzug von möglichen Fördergeldern, mit Gesamtkosten von etwa CHF 45 Mio., welche auf mehrere Jahre verteilt anfallen werden. Die Resultate aus den Vorprojekten und darauf aufbauende Grundsatzentscheide werden per Ende 2023 erwartet.

Diese Grundsatzentscheide werden auch die Gasnetzstrategie der TBF beeinflussen. Je mehr Fernwärme in Flawil gebaut werden kann, desto eher können Teile des Gasnetzs deaktiviert werden. Gleichzeitig arbeiten die TBF aber auch an der Ökologisierung des Gasnetzes mit der Förderung der verschiedenen lokalen Vorprojekte für die Produktion und Einspeisung von Biogas. Eine interne Konkurrenzierung der beiden Versorgungen soll vermieden werden, um eine langfristige, diversifizierte Versorgung von Seiten der TBF sicherzustellen.

Ein Blick in die Zukunft

Bei diesen Herausforderungen kommt die Frage auf, ob sich der Aufwand und das Risiko für einen Wärmeverbund lohnt. Luca Zillig-Klaus antwortet auf die Frage mit einem klaren Ja. Der Geschäftsführer der TBF sagt zu den geplanten Projekten: «Die Nutzung der Abwärme bietet ein grosses Potential, um in Flawil einer wirtschaftlichen und nachhaltigen Energieversorgung näher zu kommen. Das Investitionsvolumen ist durchaus vergleichbar mit den Netzen für Strom, Gas und Wasser. Diese nutzen und unterhalten die TBF seit über 100 Jahren. Diese Chance, die Energieversorgung in Flawil mit der Investition in Fernwärme zu diversifizieren und zu stärken sind jetzt besonders günstig, weil 2024 -2025 die Sanierung der St. Galler- und Wilerstrasse bevorsteht und damit gleichzeitig die Mehrheit der Gebäude im Zentrum mit erneuerbarer Fernwärme erschlossen werden könnten. Zwar ist dies ein Wettlauf gegen die Zeit, aber wir möchten diese Chance, nach sorgfältiger Analyse und Planung, gerne nutzen».

 

Ansprechperson: 

Hungerbühler Lukas

Projektleiter Wärme

071 394 90 14
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Weitere Berichterstattung

 

Möglicher Perimeter der Flawiler Wärmeversorung (Status Machbarkeitsstudie)
Möglicher Perimeter der Flawiler Wärmeversorgung im Endausbau (Status Machbarkeitsstudie)